Seit langem hat die rechtsextreme Szene Bekleidungsmarken, die sie besonders mag. Relativ neu ist, dass eigens Ladengeschäfte zu deren Vertrieb eröffnet werden - und dann nicht in Hinterhöfen, sondern in prominenten Einkaufslagen. Doch immer öfter regt sich Widerstand dagegen. Stephanie Kesselbauer vom Bündnis "Ladenschluss" aus Leipzig erklärt, wie man sich dort gegen einen Thor-Steinar-Laden wehrte - und dass es nicht ausreicht, nur auf ein einzelnes Geschäft zu blicken.
Von Johannes Radke
Frau Kesselbauer, was passiert mit einer Straße oder sogar mit einem ganzen Stadtviertel, wenn dort ein rechtsextremes Geschäft eröffnet?
Durch einen Laden, der auf rechtsextreme Kundschaft zielt, kann sich das Klima in einem Viertel von heute auf morgen stark verändern. So ein Laden soll ja auch eine Art Machtdemonstration der Szene sein. Die wollen zeigen, dass es sie gibt, dass sie stark sind. Solche Geschäfte werden schnell zu regelrechten Treffpunkten für organisierte Nazis - und die Straße davor wird zu einem gefährlichen Ort für alle, die nicht in deren Weltbild passen, für Migranten oder Obdachlose oder auch einfach nur für nicht-rechte Anwohner.
Oft geht von Läden auch Gewalt aus. In Leipzig kam es beispielsweise während zweier angemeldeter Protestaktionen vor dem Thor-Steinar-Geschäft zu brutalen Übergriffen. Einmal wurde ein Stand der Jusos von Nazis angegriffen, ein andermal stürmten rechtsextreme Hooligans auf die Kundgebung los.
Was sind die allerersten Schritte, wenn man bemerkt, dass im Ort ein Naziladen eröffnen will?
Das Wichtigste ist, sich mit anderen Menschen zusammenzuschließen. Als Nächstes muss man schauen, wie die Öffentlichkeit informiert werden kann. Man muss mit der Presse in Kontakt treten und auch die Anwohner und vor allem den Vermieter direkt informieren. Anschließend kann man ganz verschiedene Formen von Protest nutzen. Das geht von Kundgebungen und Demonstrationen über Infostände, Informationsveranstaltungen bis hin zu Theateraktionen. Das hat in Leipzig prima funktioniert.
Was verbirgt sich hinter dem "Ladenschluss-Bündnis"? Und wie ist es entstanden?
Im September 2007 eröffnete plötzlich in der Leipziger Innenstadt ein Thor-Steinar-Laden. Das ist derzeit in der Neonazi-Szene eine sehr beliebte Marke, sie ist auf vielen Neonazi-Aufmärschen zu sehen. Schon kurz danach gab es eine Demonstration gegen den Laden, an der sich 2.000 Menschen beteiligten, und dann fanden sich schnell Leute zusammen, die sich auch längerfristig gegen das Geschäft engagieren wollten. Da saßen dann antifaschistische Initiativen, Gewerkschafts- und Parteijugend, Kulturschaffende und Anwohner an einem Tisch und haben überlegt, was man zusammen unternehmen kann. Mit der Gründung des "Ladenschluss"-Bündnisses wollten wir einerseits unseren Protest gegen das Geschäft zeigen und andererseits Aufklärungsarbeit über den neuen Nazi-Lifestyle starten.
Wie klappt die Zusammenarbeit untereinander?
Klar, es gab anfänglich Diskussionen, welche Aktionsformen am besten sind, und was überhaupt die Strategie sein soll. Aber letztlich funktionierte das Zusammenspiel zwischen den teilweise sehr verschiedenen Gruppen ganz gut. Der Fokus lag damals aber auch auf dem ganz konkreten Ziel, eine Schließung des Thor-Steinar-Ladens zu erreichen.
Das bedeutet, die Ziele ihres Bündnisses haben sich in der Zwischenzeit geändert?
Im Grunde ja. Wir haben uns inhaltlich weiterentwickelt. Am Anfang ging es nur um den Laden, inzwischen engagieren wir uns auch gegen das zunehmende Auftreten der NPD und von anderen Neonazi-Gruppen in Leipzig und Umgebung. Außerdem geht es uns nun stärker um die grundsätzliche Frage, wie ein rechter Lifestyle überhaupt funktioniert und wo so ein Ausgrenzungsdenken herkommt.
War Ihre Arbeit erfolgreich?
Auf jeden Fall. Nur drei Monate nach der Eröffnung wurden Thor Steinar die Geschäftsräume schon wieder gekündigt. Dagegen wehrte sich der Mieter gerichtlich, aber bis Juni 2009 musste der Laden endgültig geräumt sein. Darüber hinaus haben die vielen Proteste dazu beigetragen, die Leipziger Öffentlichkeit für den neuen Stil der Rechtsextremisten zu sensibilisieren. Der größte Studentenclub der Stadt etwa erließ ein Verbot für Thor Steinar, und sogar der Oberbürgermeister sprach sich am Ende öffentlich gegen den Laden aus.
Den größten Erfolg sehen wir aber darin, dass unser Bündnis mittlerweile seit fast zwei Jahren erfolgreich zu unterschiedlichen Themen arbeitet. Wir bringen die zunehmende rechtsextreme Gewalt in der Stadt an die Öffentlichkeit, haben Demos gegen fünf Naziaufmärsche im Jahr 2008 organisiert und uns mit vielen anderen Initiativen vernetzt. Außerdem entstand aus unserem Bündnis heraus die Internetseite "ChronikLE.org", die rechtsextreme und rassistische Übergriffe in Leipzig dokumentiert.
Haben Sie auch Kontakt zu ähnlichen Initiativen in anderen Städten?
Natürlich. Es ist für uns wichtig, Informationen aus anderen Städten zu bekommen und Erfahrungen auszutauschen. Beispielsweise hat sich in Sachsen ein landesweites "Ladenschluss"-Bündnis gegründet, das unter anderem einen städteübergreifenden Aktionstag vorbereitet hat. Uns ist es wichtig, Leute im ländlichen Raum zu unterstützen - denn in den kleineren Orten gibt es meist nur wenige Menschen, die sich gegen Nazis engagieren, und es fehlt in der Regel eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema.
In vielen größeren Städten hat die Thor-Steinar-Vertriebsfirma bereits versucht, Läden in prominenter Lage zu eröffnen. Was glauben Sie steckt dahinter?
Thor Steinar ist vor allem ein profitorientiertes Unternehmen, und in einer großen Stadt kann man natürlich mehr Umsatz machen als in kleineren Orten. Derzeit ist die Bestellseite im Internet noch der Hauptvertriebsweg, aber die Marke versucht gezielt, ihr Image zu verbessern. Sie will offenbar neue Käuferschichten jenseits der eindeutigen Naziszene erschließen. Indem man Läden in schicken Einkaufsgegenden eröffnet, kann man sich als "ganz normale" Marke präsentieren. Genau deswegen sind die Proteste so wichtig - denn sie durchkreuzen diese Strategie des Einschleichens in die "normale" Modewelt.
In vielen Fällen machen betroffene Geschäfte nach einer Kündigung in derselben Stadt einfach einen neuen Laden auf, und alles geht von vorne los...
...genau dies ist vermutlich auch in Leipzig der Fall. In der Gerichtsverhandlung um die Kündigung des Thor-Steinar-Geschäfts hat deren Anwalt schon angekündigt, auf der Suche nach neuen Geschäftsräumen zu sein.
Wie sinnvoll ist da Ihr Engagement überhaupt?
Wir haben nach dieser Ankündigung Briefe an Immobilienfirmen, Einkaufszentren und Stadtteilvereine geschrieben und sie vor der Marke gewarnt. Und da haben wir schon gemerkt, dass unsere Proteste gewirkt haben. Das Problembewusstsein bei Vermietern ist inzwischen viel größer. Wenn es Thor Steinar tatsächlich gelingt, einen neuen Laden in Leipzig zu eröffnen, besteht natürlich die Gefahr, dass viele Leute keine Lust mehr haben, schon wieder auf die Straße zu gehen. Genau deshalb arbeiten wir nicht nur gegen einen bestimmten Szene-Laden, sondern kümmern uns um das grundsätzliche Rechtsextremismus-Problem in der Gesellschaft.
Quelle: Netz-gegen-Nazis